Der zweite Hauptzweck, zu dem das Gesetz gegeben wurde, war, den Menschen zu zeigen, dass sie als Sünder nicht in der Lage sind, sich durch eigene Anstrengungen selbst gerecht zu machen. Es gibt eine natürliche Tendenz in jedem Menschen, unabhängig von Gottes Gnade und Barmherzigkeit sein zu wollen. Dieses Verlangen, unabhängig von Gott zu sein, ist an sich sowohl ein Ergebnis als auch ein Beweis für den sündigen Zustand des Menschen, obwohl die meisten Menschen es nicht als solches erkennen.
Wenn ein Mensch also von seinem sündigen Zustand überzeugt wird, ist seine erste Reaktion, nach einem Mittel zu suchen, mit dem er sich selbst von diesem Zustand heilen und durch seine eigenen Anstrengungen rechtschaffen machen kann, ohne auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes angewiesen zu sein. Aus diesem Grund haben religiöse Gesetze und Vorschriften durch alle Zeitalter hindurch immer eine starke Anziehungskraft auf die Menschheit ausgeübt, unabhängig von Unterschieden in der Nationalität oder Herkunft. Indem sie solche Gesetze und Vorschriften befolgten, versuchten die Menschen, die innere Stimme ihres eigenen Gewissens zum Schweigen zu bringen und sich durch eigene Anstrengungen gerecht zu machen.
Genau das war die Reaktion vieler religiöser Israeliten auf das Gesetz des Mose. Paulus beschreibt im Folgenden diesen Versuch Israels, ihre eigene Gerechtigkeit herzustellen.
„Denn weil sie die Gerechtigkeit Gottes nicht erkennen und ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen.“ (Röm 10,3)
Als Ergebnis des Versuchs, ihre eigene Gerechtigkeit zu etablieren, versagte Israel darin, sich Gott und Gottes Weg der Gerechtigkeit zu unterwerfen. Die Hauptursache ihres Fehlers war also geistlicher Stolz – die Verweigerung, sich Gott zu unterwerfen, der Wunsch, unabhängig von Gottes Gnade und Barmherzigkeit zu sein.
Wenn Menschen jedoch wirklich bereit sind, ehrlich zu sich selbst zu sein, müssen sie immer wieder zugeben, dass es ihnen niemals gelingen kann, sich durch die Einhaltung religiöser oder moralischer Gesetze selbst gerecht zu machen. Paulus schildert diese Erfahrung in der Ich-Form; er selbst hatte sich einst bemüht, durch die Einhaltung des Gesetzes gerecht zu werden. In Römer 7,18-23 sagt er Folgendes:
„Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt; das Wollen ist zwar bei mir vorhanden, aber das Vollbringen des Guten gelingt mir nicht. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das verübe ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Ich finde also das Gesetz vor, wonach mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt. Denn ich habe Lust an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen; ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das gegen das Gesetz meiner Gesinnung streitet und mich gefangen nimmt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.“
Hier spricht Paulus als jemand, der aufrichtig die Gerechtigkeit und die Attraktivität eines Lebens nach dem Gesetz anerkennt. Je mehr er jedoch darum kämpft, das zu tun, was das Gesetz verlangt, desto mehr wird er sich eines anderen Gesetzes, einer anderen Macht in seiner eigenen fleischlichen Natur bewusst, die ständig gegen das Gesetz kämpft und seine stärksten Bemühungen zunichtemacht, sich durch das Befolgen des Gesetzes gerecht zu machen.
Der zentrale Punkt dieses innerlichen Konflikts wird in Vers 21 ausgedrückt.
„Ich finde also das Gesetz vor, wonach mir, der ich das Gute tun will, das Böse anhängt.“
Dies ist ein scheinbarer Widerspruch und wird doch durch alle menschlichen Erfahrungen bestätigt. Ein Mensch weiß nie, wie schlecht er ist, bis er wirklich versucht, gut zu sein. Danach bringt jeder Versuch, gut zu sein, nur noch deutlicher die hoffnungslose, unheilbare Sündhaftigkeit seiner eigenen fleischlichen Natur zum Vorschein, angesichts derer alle seine Bemühungen und guten Absichten völlig vergeblich sind.
GEBET
Herr,
wie wunderbar, dass Du einen Weg zur Erlösung geschaffen hast, denn wir selbst könnten das niemals tun. Danke, Herr Jesus, dass ich durch Deine Gnade rein und heilig sein darf und Dir allmählich immer ähnlicher werde, so dass durch mich Deine Herrlichkeit für die Welt um mich herum sichtbar wird.
Amen!